Der VC Peloton am Granfondo Stelvio

Das VC Peloton Racing Team hat am vergangenen Sonntag am Granfondo Stelvio teilgenommen. Insgesamt sind elf Pelotonisten gestartet. Voilé der Erfahrungsbericht von Ivo:

Ein modernes Helden-Epos in fünf Aufzügen
Erster Aufzug – vor dem Start
Ein kleines Gasthaus, gelegen an einer Pass-Strasse , die sich durch ein malerisches Bergtal schlängelt. Es tagt, die Vögel singen sich warm und von nahe hört man den passierenden Verkehr.
Das Gasthaus verfügt über einen Aufzug,…
welchen ich aber natürlich niemals benutzte, gab es doch steile Treppen zum Erklimmen oder Herunterspringen! Besonders das mit dem Runtersteigen gestaltete sich, bewehrt mit Schuhplatten an glatter, steifer Karbonsohle, zu einem regelrechten Nervenkitzel.
Während die Mehrheit des zum grossen Abenteuer aufgebrochenen Zirkels mutiger Recken bereits das Frühstücks-Buffet gestürmt und die Teller mit Zucker angereicherten Delikatessen vollgeladen hatte, wachten andere langsam auf. Sogar der noch am Vortag peergroup-resistente Wolf im Bademantel zeigte sich hier schon im Renndress. Es folgte die surreale Szene, in welcher die letzt aufgestandenen Streiter brav bei der holden Maid Eier bestellten, während, durch das Fenster draussen auf dem Parkplatz beobachtbar, ein hagerer, reichlich be-bart-eter tütscher Sportsmann den befreundeten Zahndoktoren, seines Zeichens International Ambassador des VC Pelotons, ins benzinbetriebene Fahrzeug komplimentierte.
Das mit der Ernährung war generell so eine Sache, galt es doch sich über optimal abgestimmte, kohlenhydratreiche Nahrungsmittel spezifisch auf die bevorstehenden Qualen vorzubereiten. Ich habe dies sehr ernst genommen und mich während des ganzen Wochenendes intensiv mit Essen auseinander gesetzt, welches in unserem Gasthaus in herausragender Qualität auf den Tisch gebracht wurde, aber auch in der Pizzeria Sole in Bormio, WLAN-Passwort dieses gastronomischen Betriebes lautet auf „ristorantepizzeriasolebormio“, alles klein oder doch „pizzeriaristorantesolebormio“, am Vorabend vorzüglich mundete. Ich sag nur: Hausgemachte Pizzoccheri, Gnocchi, Torteloni mit Quark-Heidelbeer-Füllung an Kalbsbolognese, Pizza, Minestrone, Spaghetti Carbonara und v.a. Gelati… mmmmmh, mmmmmh, mmmmhmh (aufgrund meiner offen zur Schau getragenen und verbal mit befriedigten Grunzgeräuschen untermalten Gaumenfreude wurde ich vom Thassilo zum Alfred-Biolek-Imitator ernannt). Ich liebe es, in Italien zu essen!
Unsere beiden letztverbliebenen Sportsmannen stiegen nun, etwas getrieben durch die unaufhaltsam voranschreitende Zeit, auf ihre Karbon-Rösser und rollten zügig das Tal runter, dem Startbereich entgegen, geschultert die mit der eigenen Startnummer beklebten Plastiktüte, in der die Wechselgarderobe für die Passhöhe wasserdicht verpackt mitfuhr. Zum Glück der Späten dauerte dieses Anfahren und Abliefern des Packen auf dem alten Marktplatz in Bormio – never sleep, always deliver – nur 20 Min., so dass die eigene Startposition, organisiert über Farben, in sechs unterschiedlichen Strasse und Gassen, gefunden und eingenommen werden konnte. Dann galt es geduldig zu stehen, etwa fünf Countdowns abzuwarten – bei 3500 Teilnehmern kann man das Feld nur in Gruppen starten lassen, weil sonst überfahren die sich ja gegenseitig auf der Schnellstrasse nach Tirano runter – wobei alle mind. dreimal lautstark eingeklickt haben, weil alle rund herum selbiges taten, nur um dann wieder auszuklicken, damit der Stand sich bequemer gestaltete. Kennengelernt habe ich ein paar Dänen und einen Ecuatorianer aus Washington, der im Trikot der ekuadorianischen Nationalmannschaft mehrmals im Jahr nach Europa reist, um Radsport-Grossanlässe zu besuchen; dieses Jahr hat er noch die Alpen-Challenge auf dem Programm. Dann ging es dann los, gleich zügig, weil die ersten 50 km nur Abfahrt sind, von 1200 m.ü.M auf 430 m.ü.M. .
Zweiter Aufzug – vor dem Mortirolo, die Radwelt ist noch in Ordnung…
Als erste Aufgabe stellte sich den Fahrern der mittleren und langen Runde der Aufstieg zur Ortschaft Teglio im Veltlin in den Weg, auf dem Höhenprofil der erste kleinere Zacken in der Landschaft. Ich hatte den nicht so genau studiert, habe in so in etwa als 1x Gempen abgespeichert, hab dann noch vom Hörensagen mitbekommen, er sei etwas steiler als selbiger. Zum Glück wusste ich nicht mehr, denn das waren nicht zu unterschätzende Steilheits-Grade, die Weinberge hinauf, auf einem schmalen Strässchen. Das erste Mal wurde ich durch andere aus dem Sattel gezwungen, sah sich doch ein Begleitmotorrad genötigt, gleich vor mir den engen, eigentlich pitoresken Torbogen zu durchfahren, bei welchem, bei etwa 14% Steigung, die Strasse deutlich enger wurde. Die linke Fahrspur, auf der die schnelleren Fahrer sich jeweils vorbeiquetschen konnten, wurde durch dieses Gefährt verstellt, während rechts, sich alle Fahrer spontan entschlossen, es sei doch besser, abzusteigen und zu schieben, freiwillig wohlverstanden. Was haben wir noch im Sattel sitzenden multilingual geflucht, ein wahres Schimpfworte-Gewitter ist uns entfahren. Ich war also gezwungen zu laufen, etwas was mir ja zutiefst zuwider ist, wenn ich velofahren könnte. Aufzusteigen und anzufahren bei dieser Steilheit, in den Leuten und mit ständig nachkommenden, noch fahrenden Kollegen war schlicht nicht möglich, noch den anderen zumutbar.
Nach überstandener erster Tortur, liess ich den Verpflegungsstand rechts liegen, denn, ihr ahnt es, kulinarisch hatte ich mich wohlweislich im Voraus weitestgehend selbst ausgerüstet – may the Winforce be with me , pfirsich-flüssig und marroni- und kokos-nussig sowie der eine oder andere gelierte Sponsor. Eine schöne Abfahrt lang galt es den nicht so versierten Mit-Abfahrenden auszuweichen, um dann im Tal möglichst bald ein kleines Grüppchen zu finden, um etwas aus dem Wind genommen, weiterfahren zu können. Nun alles wieder das Tal hoch, realiter 2320 Meter Höhenunterschied galt es ab hier zu überwinden. Dies war für den vor mir fahrenden Collé-Fahrer zuviel, also seinem Schlauchreifen jedenfalls, der lautstark platzend den Geist schon so früh im Rennen quittierte. Überhaupt, alle paar hundert Meter stand wieder einer mit einem Platten, selten so viele Reifendefekte miterlebt, auf der gesamten Strecke (den letzten passierte ich 1 Km vor dem Ziel), der Nässe und den italienische Strassenbelags- oder eben nicht-belags-Verhältnisse wurde oft unfreiwillig eindrücklich Tribut gezollt. Sonst verlief diese Rennphase, bis auf eine kleine Gegensteigung auf der rechten Talseite, recht unauffällig, es galt nochmals Tirano zu durchqueren und sich dann leicht steigend Richtung Abzweiger zum Mortirolo-Pass hochzuarbeiten. Da wir in Italien unterwegs waren, habe ich mir dabei etwas Koffein gegönnt, in weiser Voraussicht, was da bald auf mich zukommen würde.
Dritter Aufzug – der Höhe- und Wendepunkt (1169 Hm auf 10km, 11% Durchschnittssteigung)
Beim Abzweiger fand sich eine weitere Verpflegungsstation, die ich, euphorisch geladen und noch genug versorgt mit Tranksame und Gels, ignorierte und gleich mit Zug nach rechts den Hang hinauf stach; entsprechend hektisch habe ich hochgeschaltet, was dann meinem, ich habs in einem früheren Bericht angetönt, Schaltkabelführungs-mässig stark angeschlagenen Rennrad nicht so recht gefallen wollte. Mit Beginn der steilen Rampen begann das Rad lauthals Gräusche von sich zu geben, ein lautes Knacken bei jeder Pedalumdrehung, ich wollte mich mehrfach bei meinen Mit-Leidenen dafür entschuldigen, so nervig war das. Mir selbst ging es zu Beginn der Steigung überraschend gut, dank der leichten Übersetzung (34-32) liess es sich recht regelmässig hochwuchten. Die Kurven waren meist flach, etwas Erholung gabs so, dann folgte die nächste Rampe, die meisten 14%+. Alles im feuchten Wald, der Strassenbelag hier perfekt, weil für den Giro 2013 frisch aufgebracht. Einer nach dem andern wurde langsam, aber kontinuierlich links überholt.
Die beiden steilsten Stellen waren vom Veranstalter jeweils namentlich auf einem Schild ausgewiesen, samt Kettenblätter-Anzahl als Härteindikator. Im ersten Teil war die „Muur da Ving“ das steilste Stück, vier von fünf Kettenblätter. Aber die schwierigste und anstrengenste „Mauer“ folgte erst auf den letzten 2.5 Km des Anstiegs, die „Muur da Lot“ mit fünf von fünf Härte-Kettenblätter. Das Foto kennt ihr bereits, was nicht nachempfindbar ist beim Betrachten desselben, welch eine Qual dieser letzte Teil dieser Aufstiegsvariante darstellt. Der Belag uneben, ruckelig, gegen die Mitte eingefallen, aus Waschbeton, der sich über die letzten Wochen wie ein Schwamm mit Wasser vollgesogen hatte. Schlüpfrige Sache bei bis zu 20% Steigung, entsprechend viele Fahrer mussten absteigen oder wurden abgestiegen. Alle waren sie mit Tunnelblick unterwegs, ausgelaugt durch die kräftezehrenden vorherigen 8 Kilometer, die ja auch schon 10% Steigung im Schnitt aufwiesen. Diese Stelle ist mit einer 36-27 z.B. wohl nicht zu fahren. Dies v.a. weil man nicht allzu oft aus dem Sattel gehen kann. Macht man dies, dann steigt man ab, weil das Hinterrad durchdreht. Alle die, die noch auf den Rädern sassen, versuchten hier verzweifelt, irgendwie sitzen zu bleiben und weiter zu drücken. Die grösste Herausforderung bestand nun darin, die„Wanderer“ zu umkurven, die, selbst wenn man sie angeschrien hat – und ich habe geschrien, dreisprachig und geflucht wie ein Kesselflicker, denn ich wollte auf keinen Fall absteigen, man hat ja Stolz – also, selbst wenn man sie direkt lauthals beschalt hat, mit der Bitte, aus der Mitte der schmalen Fahrbahn zu verschwinden, diese sich oft nicht bequemen konnten, dieser Aufforderung Folge zu leisten. So fertig waren die schon.
Weiter oben war dann der Wurfbeton von besserer Qualität, nun regelmässig in eine Richtung gerillt, dafür gab es alle 10 Meter metallene Wasserrinnen, bei denen die Metallränder so neckisch aus dem Belag hervorstanden. Wenn man die aus dem Sattel fahrend querte, haben sich die entsprechenden Hinterräder, sich endgültig ins Nirvana rotierend, verabschiedet. Direkt vor mir hat es einen armen Kerl in Sekundenbruchteilen flach gelegt, dabei hat er sich noch nett an im Strassenbord hervorstehenen Felsen gestossen. Schmerzverzerrt das Gesicht, aber er konnte wieder aufstehen. Der dadurch entstehende Rückstau hat mich zum Absteigen gezwungen, wie einige andere auch. Hier nun hat man den noch fahrenden Kollegen nett geholfen, sie von hinten angeschoben, wenn sie in Schrittempo an einem vorbei gekraxelt kamen. Nach dem Wiederaufsteigen in einer flachen Kurve versuchte ich zu beschleunigen und bemerkte nun aber, dass meine hinteren Oberschenkenmuskeln drohten zu krampfen. Die letzten 500 Meter Aufstieg waren dann, es wurde zwar etwas flacher, trotzdem sehr fordernd, galt es doch jede Position zu vermeiden, die zum Krampf geführt hätte. Nun musste ich permanent aus dem Sattel gehend fahren. Es ging geradeso noch auf…
Vierter Aufzug – der Transfer vom steilen Berg zum hohen Berg
Die Verpflegung habe ich wieder ausgelassen, gut rationiert habe ich unterwegs, bis Bormio sollte es reichen. Die steile Abfahrt nach Grosio habe ich die Beine ausgeschüttlelt und unten sofort im Sattel verpflegt. Da wurde ich von Dirk Maertins eingeholt, der meinte, diese Abfahrt mache ihn immer fertig. Gemeinsam sind wir ein Stück weit Richtung Bormio hochgefahren, bei mir haben sich die Krämpfe dann wieder verabschiedet und ich konnte zügig weiterfahren. Unterwegs ist mir ein Gel aus der Hand gefallen, als ich mit meinen Plastiksäckchen hantiert habe (Idee: so schmiert sich die Trikotasche nicht voll, aber voll mühsam, um bei Renntempo der Gels habhaft zu werden). Diese Zwangspause habe ich genutzt und gleich Wasser gelassen, man kommt ja sonst nicht so dazu. Ahhhhh, hat gut getan. Dann Bormio, da ein grosser Verpflegungsposten mit Nutella-Brötchen, Marmelade-Brötchen, Linzertorte, diverse Früchte, Nüsse und Pizza. ja Pizza, da habe ich nicht widerstehen können. Flaschen re-winforced und weiter gings, nun an den letzten Hügel: den Passo del Stelvio, zu Deutsch, das Stilfserjoch. Dieses türmte nochmals kurz unverfroren 1500 Höhenmeter vor den FahrerInnen auf, entsprechend lange würde es noch dauern dieses Monument zu erklettern.
Fünfter Aufzug – Mentale Hochgefühle bei ständig an drei Stellen drohenden Muskelkrämpfen
An den Stelvio erinnere ich mich nur noch lückenhaft, denn ich war v.a. damit beschäftigt, ständig die Sitzposition leicht zu verändern, weil die leichten Krampfgefühle wiederkamen. Mental war ich aber so auf Endorphin, dass mich dies nicht so recht gekratzt hat. Konzentration war noch hoch und ich habe regelmässig gegessen und mir dann auch nochmals ein Röhrli Koffein gegönnt. Unterwegs habe ich meinen ecuadorianischen Gesprächspartner vom Start angetroffen, wodurch sich der Kreis des Erlebten für mich wunderbar geschlossen hat. Dann kam der Abzweiger zum Umbrail-Pass und rechterhand oben im Schnee war die Ski-Station auf dem Stelvio zu sehen, der Himmel auf Erden, weil da das Ziel auf die müden Fahrer wartete. Auf dem letzten Kilometer konnte ich sogar noch etwas Gas geben, habe Christoph Wolf noch angetroffen und bin nach 6 Std. 45 Min. über die Ziellinie gerollt. Danach gab es ein Finisher-Käppi, die warmen Kleider, etwas Essen, das Gruppenfoto und bald schon, eine regennasse Abfahrt, den Umbrail-Pass runter nach Sta. Maria, wo uns das Postauto 5 Minuten nach Ankunft an der Haltestelle eingeladen hat. Dadurch waren Emanuel und ich überraschend schnell wieder zuhause, bereits um 20:45 Uhr konnte ich meine Familie umarmen und von meinen Abenteuern erzählen. Vielen Dank an Oliver McDaid, der unsere Taschen mit dem Auto heimtransportiert hat.
Epilog
Ein unvergessliches Erlebnis, ein Hotel, ein Anlass, den ich euch wärmstens empfehlen kann. In der Schweiz würde so etwas nicht erlaubt werden. ich liebe es in Italien Rad zu fahren.

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Das VCP Racing Team auf dem Gavia!
Das VCP Racing Team auf dem Gavia!

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